COLLAGEN Eröffnungsrede von Peter Schmidt
Ich möchte Euch recht herzlich willkommen heißen hier bei uns in der Ausstellung Schichten. Humus der Zeit. Und wer sie noch nicht kennt, Susanna Lakner, die Künstlerin ist hier. Und wie sie arbeitet, das sieht man am besten in der Ecke da hinten. Da steht ein Aquarium mit ganz viel leeren Klebertuben drin. Das heißt, Susannas Arbeit ist eine sehr handwerkliche Arbeit.
Was wir in diesem Raum sehen, ist auf der Basis von Renaissance-Gemälden entstanden. Die meisten davon sind eher unbekannte Bilder aus einer italienischen Sammlung, aber einen kleinen Teil von Botticelli kann man auch entdecken. Man sieht Ausschnitte, zusammengesetzt aus verschiedenen Bildern aus dieser Zeit, aber auch immer wieder Einsprengsel, ganz feine Elemente, die diese Bilder aus der Zeit herausholen. Wir haben also eine Reihe von Collagen aus ganz traditionellen Bildern, umrahmt mit Pappe aus Versandkartons. Es sieht zunächst nach einem unheimlichen Widerspruch aus, auf der einen Seite diese religiösen, royalen Bilder, auf der anderen Seite ein sehr rohes, alltägliches Material, Abfall, wenn man so will. Für Susanna ist es eben kein Abfall. Die Idee kam ihr während der Corona-Pandemie, als die Papiercontainer immer voll waren mit leeren Versandkartons. Man ärgert sich normalerweise darüber, über die Verschwendung, die immer vollen Container. Da hat Susanna begonnen, darüber nachzudenken und sich intensiver mit diesem „Abfall“ zu beschäftigen. Sie hat dabei festgestellt, dass es sich eigentlich um sehr hochwertiges Material handelt. Dazu muss man wissen, dass sie ausgebildete, studierte Typografin ist. Das heißt, dieses Handwerk, was sich in diesen Kartons ausdrückt, ihr eigentlich sehr nah ist. Sie hat mir eine Stunde lang mit Begeisterung über diese Pfeile, über die einzelnen Buchstaben, über diese Löcher da drin erzählt. Sie schätzt die kreative Arbeit, die da drin steckt und findet solche Sachen, wie dieses Weiß auf dem Beige, diese Kontraste oder diese Punktemuster, die wir hier sehen, unheimlich toll.
So kann man Elemente entdecken, die das Rohe der Kartons plötzlich mit diesen Renaissance-Bildern verbindet, mit denen eine Einheit eingeht, so dass beides eine ähnliche Qualität bekommt. Ich würde sogar sagen, man muss das jetzt höher hängen, es sind zweierlei Schönheiten, die da aufeinander prallen. Einmal diese ganz traditionelle Schönheit, klassisch, wie wir sie kennen, wie wir sie auch verstehen, und so eine moderne und zeitgenössische Schönheit, wo es plötzlich um Symbole geht und wo sogenanntes armes Material plötzlich wertvoll wird. Der Prozess wertet einfaches Material auf und anerkennt auch die Schönheit und die viele Arbeit, die in diesem Material drinsteckt. Der Widerspruch, den wir zunächst sehen, löst sich ästhetisch auf. Wir können jetzt auch nachempfinden, wenn wir uns darauf einlassen, dass auch dieses Verpackungsmaterial schön ausgearbeitet ist. Gleichzeitig bekommen diese Renaissance-Bilder durch die Collagierung neue Dimensionen hinzu. Es sind aber auch immer wieder spätere Bildelemente, die nach der Renaissance gemalt, gedruckt wurden, dort eingebaut. So bekommen wir eine Verbindung von Vierzehnhundert bis Heute. Was so entsteht, ist, wie der Titel der Ausstellung sagt, der Humus der Zeit. Durch diese Kartons haben die Arbeiten auch eine Dreidimensionalität. Wir haben hier senkrechte Waben, Wellenkartons, Bienenwabenelemente. Durch diese Dreidimensionalität haben wir dann das Skulpturales drin, die Werke gehen weg von der reinen,
zweidimensionalen Collage und hin zu einer 3D-Collage. Daher ist eine unheimliche Vielfalt drin, auf die man sich aber einlassen muss, weil die sich nicht direkt auf den ersten Blick erschließt.
Ganz spannend ist es auch im Gang, wo wir ein drittes Element entdecken können. Eine andere Art von Schönheit, und zwar Naturschönheit. Das sind Vögel, Vogelelemente, Fotos, Bilder oder Zeichnungen von Vögeln, zusammengefügt zu neuen Kreaturen. Das Thema ist das Aussterben der Arten. Die Natur ist bedroht, es werden aus diesen alten Elementen neue Arten geschaffen, neue Schönheiten entstehen. So vermengen sich ästhetisch schöne und durch diese Arbeit aufgewertete Elemente, wie auch Handgeschriebenes. Wörter, die wir nicht verstehen können, wahrscheinlich können auch die wenigsten von uns ungarisch, aber selbst die, die ungarisch können, werden vielleicht nicht viel mit den Texten anfangen können, weil es nur einzelne Elemente sind. Die zusätzliche Verbindung entsteht in der hinterlegten handwerklichen Geschichte. Bei den Vögeln sehen wir auch diese Lust am Collagieren. Für Susanna ist es ein Spiel, ein unheimliches Vergnügen, wie man diese Einzelelemente nimmt, zusammenfügt und so lang hin und her damit spielt, bis etwas Neues entsteht. So werden zum Beispiel aus Eiern Augen, und so entstehen immer wieder neue Bedeutungen von Bildelementen. Mit den handgeschriebenen Texten, das ist ja was sehr Persönliches, so eine Handschrift, kommen wir in dem kleinen Raum zu der persönlichen Verarbeitung das Zeitgeschehens. Das ist das 20. Jahrhundert, was sich da abbildet. Der Teil der Zeit, in dem die meisten von uns sich irgendwann befunden und das noch selber miterlebt haben. Die Verwendung von schwarz-weiß-Bildern drückt Vergangenes aus. Eine schöne Geschichte gibt es dazu. Susanna hat erzählt, dass hier rechts auf der Collage ein Bildausschnitt von einem Platz in Budapest ist. Und dann sagte sie, das könnten meine Mutter und ich sein, und stellte damit eine ganz direkte Verbindung zu diesem Persönlichen her.
Dieses Persönliche ist wiederum in ein Zeitgeschehen eingebunden. Diese einzelnen Elemente, Fotografiertes und Handschriebenes, womit sich einzelne Menschen identifizieren können, verschwinden mit der Zeit und die Künstlerin gibt denen neue Bedeutungsebenen. Das ist dieser Humus der Zeit. Diese direkte Bedeutung, die jetzt zum Beispiel die Handschrift hat, um etwas mitzuteilen, verschwindet, wird zu Humus, auf dem wieder etwas Neues gedeihen kann.
Durch die ganze Ausstellung zieht sich eine unheimliche Wertschätzung. Wertschätzung von Büchern, von Illustrierten, von Natur, sogar von Abfallmaterial und natürlich von Kunst. Eigentlich alles unheimlich wertschätzend, was diesen Menschen entgegengebracht wird, die diese Dinge erzeugt haben und die jetzt von Susanna in diesen Werken verarbeitet wurden. Das ist eigentlich, denke ich, die Kernaussage dieser Ausstellung. In dem Sinne ein schönen Abend!
Danke.
12.02. 2024
Zero Arts, Stuttgart
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